Hass auf Geflüchtete, Nazi-Geburtstage im Kalender, NS-Musik auf dem Handy: Der deutsche Rettungsdienst hat ein Rechtsextremismus- und Rassismusproblem, zeigt eine taz-Recherche. Rettungskräfte wie GuidoSchaepe wollen nicht mehr schweigen. RechteRetter
Sebastian ErbAnne Fromm 16.9.2022, 19:00 Uhr
Auf der Feuerwache 9 in Köln, wo die Johanniter unter anderem einen 24-Stunden-Rettungswagen besetzen, klaffen Leitbild und Wirklichkeit weit auseinander. Die Nazi-Geburtstage im Kalender sind nur der plakative Höhepunkt einer jahrelangen Entwicklung: Rechtsradikale konnten ihre Weltanschauung hier ziemlich frei ausleben. Ein Mitarbeiter hingegen, der das Problem ansprach, wurde gekündigt. „Ich wurde rausgemobbt“, sagt er.
Haben Sie Hinweise? Haben Sie Informationen zu Vorfällen im Rettungsdienst, über die Sie die taz informieren möchten? Melden Sie sich gerne vertraulich bei den Autor:innen über ihr Profil auf taz.de oder taz.de/informant. Guido Schäpe hat sich bei den Johannitern gegen Rechte Kollegen engagiert und wurde gekündigt Foto: André Wunstorf
Und dann stehen im Sommer 2020 plötzlich die Nazi-Größen im Wandkalender. Der taz liegen Fotos davon vor. Es ist auf der Wache kein Geheimnis, wer die Namen eintrug. Mehrere Personen haben den Mann nach taz-Recherchen dabei beobachtet.Am 11. August 2020 schreibt Guido Schäpe eine Mail an seine Vorgesetzten bei den Johannitern, darunter der Regionalvorstand, der Wachleiter und der Dienstgruppenleiter. Auch die Mitarbeitendenvertretung ist im Verteiler.
Der Rettungsdienst Deutschlandweit besetzt die JUH 301 Rettungswachen, 6.000 Johanniter arbeiten hauptamtlich im Rettungsdienst. Und jetzt? Sollen nicht die rechten Retter gehen, sondern der Mann, der Rassismus und Rechtsextremismus angesprochen hat. Lieber Hetze als Hilfe Eine Rettungswache an einem anderen Ort in NRW, sie wird vom Malteser Hilfsdienst besetzt, einer weiteren großen Hilfsorganisation in Deutschland. Sie ist katholisch und hat das Motto: „… weil Nähe zählt“. Die Wache liegt in der Nähe eines Wohngebiets, grasfreie Pflasterfugen, Vorstadtidylle. Mehrere Rettungswagen sind hier stationiert, 24 Stunden Bereitschaft, dazu kommen Krankentransporte.
Der Rassismus beschränkt sich nicht auf die Chatgruppe. Auf der Malteser-Wache werden Mitarbeiter:innen von ihren eigenen Kolleg:innen rassistisch beschimpft, ergibt unsere Recherche. Ein Mitarbeiter, der aus Iran nach Deutschland gekommen ist, wurde als „Kameltreiber“ bezeichnet, eine andere Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund als „scheiß Ausländerin“.
Die Sprüche unter Kolleg:innen sind das Eine. Sie sorgen dafür, dass etliche Sanitäter:innen ihren Job weniger gern machen, besonders natürlich diejenigen, die direkt von rassistischen Bemerkungen betroffen sind. Sie kapseln sich auf der Wache ab, kündigen schließlich vielleicht. Aber dabei bleibt es nicht.
So halte es laut Schilderungen aus seinem Umfeld auch der Johanniter-Mitarbeiter, der die Nazi-Geburtstage in den Kalender geschrieben hat. Der Notfallsanitäter sei fachlich nicht schlecht, aber da sei eben seine Einstellung. Er trage stolz ein T-Shirt mit Deutschlandflagge, wenn er eine türkische Flagge sehe, rege er sich auf: „Ich hasse Türken“. Und Einsätze bei Menschen mit Migrationshintergrund seien für ihn oft: „nur Pillepalle“.
Eine Sprecherin der Johanniter Köln bezeichnet den Begriff auf Anfrage als “absolut inakzeptable Bezeichnung“, die die Gefahr von “unvollständigen diagnostischen Maßnahmen“ berge. Auch auf der Malteser-Wache in NRW berichtet man uns, dass viele Kollegen bestimmten Menschen nicht helfen wollten: “Die haben keinen Bock auf die Behandlung von Geflüchteten.“ Sie würden dann keine richtige Anamnese erheben, keine Vitalparameter, sie würden nicht viel fragen und die Patient:innen nur in den Rettungswagen verfrachten und ins Krankenhaus fahren.
Die Anbieter In den meisten Kommunen übernimmt die Feuerwehr einen Teil des Rettungsdienstes. Den Rest teilen sich Hilfsorganisationen und private Anbieter. Der mit Abstand größte nichtstaatliche Anbieter ist das Deutsche Rote Kreuz, gefolgt von den Johannitern, dem Malteser Hilfsdienst und dem Arbeiter-Samariter Bund.
Die Anwältin Lea Voigt vertritt die Angehörigen von Qosay K. Sie hat Anzeige gegen die Polizisten und gegen die beiden Rettungskräfte erstattet, unter anderem wegen unterlassener Hilfeleistung. Ein Freund von Qosay K., der bei der Festnahme dabei war, sagte damals der taz, dass Qosay K. den Rettungsskräften deutlich gezeigt habe, dass er unter der Wirkung des Pfeffersprays litt. Er habe gesagt, dass ihm übel sei, er keine Luft bekomme.
In den meisten Kommunen ist der Rettungsdienst ähnlich organisiert wie in Köln: Die Berufsfeuerwehr löscht nicht nur Brände, sie fährt auch einen relevanten Teil des Rettungsdienstes. Den Rest erbringen Dienstleister wie die Johanniter und Malteser. Der ärztliche Leiter hat die Aufgabe, die Qualität der Rettungsdienste zu sichern.
Rassistisches GeredeBegriffe Der Arbeiter-Samariter-Bund verneint, dass die rassistischen Ausdrücke „Morbus Bosporus“ bzw. „Morbus Mediterraneus“ gängige Begriffe unter seinen Rettungskräften seien. Der Malteser Hilfsdienst teilt mit: „Wir müssen erschüttert feststellen, dass diese Begrifflichkeiten auch zunehmend in den Rettungsdienst der Malteser Einzug gehalten haben.
Nur Bremen, Berlin, und Düsseldorf und Dresden listen ein paar Dinge auf. In Berlin wurde strafrechtlich ermittelt wegen rechtsextremer Verdachtsfälle bei der Feuerwehr. Über einen Mitarbeiter in Düsseldorf wurde bekannt, dass er Mitglied der Neonazi-Vereinigung „Bruderschaft Deutschland“ war, er wurde in ein Aussteigerprogramm für Rechtsextreme geschickt.
Auch Alex Lechleuthner behauptet: „Morbus Bosporus ist kein gängiger Begriff unter Mitarbeitern des Rettungsdienstes in Köln.“ Versucht er, Dinge unter den Tisch zu kehren? Oder weiß er wirklich nicht, was in dem Dienst vorgeht, den er verantwortet? Die Hilfsorganisationen, das sind keine kleinen Vereine, auch wenn es so klingen mag. Faktisch sind sie große Konzerne. Die Johanniter etwa machen mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, mehr als ein Drittel davon mit dem Rettungsdienst und Krankentransporten. Ein gutes Image ist wichtig.
Die Wache Frechen ist ein graubrauner Klotz am Stadtrand, eröffnet 2017, nebenan das Gymnasium. Das alte Gebäude war zu klein geworden, in der modernen Wache ist alles unter einem Dach: die freiwillige und die Berufsfeuerwehr, der Rettungsdienst. Auf den Wägen steht: „Wir fahren – damit Sie leben“. Für den Rettungsdienst ist hier die Feuerwehr zuständig, die der Stadtverwaltung untersteht.
Im Gespräch mit der taz beschreibt N. die Situation so: Es ist Dienstagfrüh, die Übergabe von der einen Wachabteilung zur anderen läuft, die Besatzungen der Rettungs- und Krankenwagen sowie der Löschfahrzeuge, treffen sich. Von der anderen Seite des Raums habe er Musik gehört und erst gedacht, es sei ein Klingelton, vielleicht habe aber auch jemand absichtlich etwas auf dem Handy abgespielt: das NS-Marschlied “Erika“, mit Text.
Gab es Konsequenzen? Der Feuerwehrchef ist für die taz nicht zu erreichen, er sei längerfristig erkrankt, heißt es. Sein Vertreter meldet sich von sich aus, als er mitbekommt, dass wir recherchieren, und verweist auf den Pressesprecher der Stadt. Der schreibt per Mail, dass man dem Hinweis nachgegangen sei und Gespräche mit Vorgesetzten und Mitarbeitenden geführt habe.
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