Am 8Mai jährt sich das Ende des 2. Weltkrieges zum 77. Mal. Erinnern ist Gedenken – die taz hat die tragische Flucht eines Ehepaares rekonstruiert. 8mai1945
Klaus Hillenbrand 8.5.2022, 16:48 Uhr
All das erfährt man aus historischen Zeugnissen wie Briefen, Zeitungsartikeln, Protokollen. Fluchtgeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg sind schwer zu rekonstruieren. Das Material zu einem Fall liegt selten an einem zentralen Ort und die Zeugen der Zeit sind inzwischen fast alle verstorben. Die taz hat mehrere Archive besucht und Hunderte Schriftstücke gesichtet. Dabei fand sich auch ein lange gesuchter Brief.
Achtzig Jahre später, an einem sonnigen Frühlingstag Ende März 2022, läuft Horst Hallmann, Jahrgang 1935, mit dem taz-Reporter denselben Weg wie damals die Grünebergs. Der schmale Mann wächst als Kind eines Zöllners am Grenzacher Horn auf, doch der Vater ist 1942 längst zur Wehrmacht eingezogen. Die Mutter, Horst und sein Bruder leben in einer Wohnung des Zolls, nur wenige Schritte von der Grenze entfernt.
Beck war nicht der einzige, der dem Ehepaar zur Flucht durch das Schlupfloch verhalf. Ein sich von Berlin über das baden-württembergische Weil am Rhein bis zum Grenzacher Horn erstreckendes Netzwerk war daran beteiligt, insgesamt mindestens sechs Personen.
Wer waren die flüchtenden Frieda und Alex Grüneberg? Frieda wird 1882 als Friederike Nassau in Essen geboren. Ihre Familie ist offenbar im Bekleidungsgewerbe engagiert, zumindest betreibt ein Bruder von Frieda eine Agentur für Damenkonfektion. 1904 heiratet sie Alex Grüneberg, so steht es in der Heiratsurkunde im Stadtarchiv Essen. Die 21-Jährige ist dem Dokument zufolge „ohne Beruf“, was den damaligen Gepflogenheiten entspricht.
Aus einer herrschaftlichen Sechszimmerwohnung mit Konzertflügel, Mahagonischlafzimmer und Gemälden von Liebermann und Lesser Ury verkleinern sie sich auf Dreieinhalbzimmer. Um 1941 wird das Paar gezwungen, dort einen jüdischen Untermieter aufzunehmen. Die von den Nazis erhobene „Judenvermögensabgabe“ frisst Teile ihrer Ersparnisse auf.Alex trägt nun den Zwangsnamen „Israel“, Frieda die Bezeichnung „Sara“.
Am Grenzacher Horn: Heute ist die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz durchlässig Foto: Andree Kaiser Luzia, eigentlich Luitgard, war mit einem Lokomotivführer verheiratet, der erst 1942 nach Weil am Rhein versetzt worden war. Deshalb bezweifelt Schätzle, dass sie über allzu große Ortskenntnisse verfügte. Auch kann sie ihre Nachbarin Adelheid Suger erst seit wenigen Monaten gekannt haben. Eine Tante von Luzia Schaub allerdings hatte als Hausangestellte bei Berliner Juden gearbeitet. Rührte daher ihre Unterstützung? „Luzia war immer hilfsbereit.
Aber was geschah mit Frieda Grüneberg, nachdem sie an Heiligabend 1942 von dem Zollbeamten Karl Wolowski festgenommen worden war? Dem Vernehmungsprotokoll zufolge gibt Grüneberg an, mit dem Zug von Berlin nach Freiburg und dann abschnittsweise weiter Richtung Weil gefahren zu sein. Die Orte der Unterkünfte und ihre Gastgeber seien ihr nicht bekannt gewesen, ebenso wenig wie die Adressen. Protokollant Wolowski notiert am Schluss: „Frau Grüneberg hat die Unterschrift des Protokolls verweigert mit der Begründung, sie lasse sich lieber totschießen.
In Entschädigungsakten aus den 1950er Jahren findet sich Ende April 2020 Grünebergs Abschiedsbrief. Darin schreibt Frieda: „Ich konnte dieses schmachvolle Leben nicht mehr ertragen und habe vorgezogen, ein freiwilliges Ende zu bereiten. Ich hatte nur den einen Wunsch meinen Mann u. Kinder wieder zu sehen. Das ist mir versagt worden. Mein letzter Wunsch ist darum meinen Mann in Kenntnis zu setzen. Flüchtlingslager in der Schweiz.
Piepers Erinnerungen über Sugers anschließenden Bericht decken sich bis auf wenige Details mit dem, was in den deutschen Polizeiakten und in einem späteren Bericht des entkommenen Ehemanns Alex Grüneberg steht.Die Furcht vor einer Entdeckung des Helferkreises durch die Gestapo ist begründet. Aber es geschieht nichts. Frieda Grüneberg hat in den letzten Stunden ihres Lebens dichtgehalten.
Im Herbst 1944 zieht der Volksgerichtshof das Verfahren an sich. Ermittelt wird wegen „Feindbegünstigung“. Darauf steht die Todesstrafe. Die Beschuldigten aus Baden warten verstreut in drei Gefängnissen auf den Beginn ihres Prozesses, der sie das Leben kosten kann.
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