Was meinen wir eigentlich genau, wenn wir von Care-Arbeit sprechen? Die Philosophin Cornelia Klinger über Klassenverhältnisse und Lebenssorge.
taz: Frau Klinger, seit der Pandemie sprechen wir immer wieder von einer Care-Krise. Sehen Sie diese Krise auch?
Ich verwende lieber den Begriff der Lebenssorge. Reproduktion wirkt wie ein Anhängsel von Produktion. Und „Re-“ wird auch leicht mit Unproduktivität in Verbindung gebracht. Der Begriff ist erklärungsbedürftig und deshalb nicht gut. Care hat ab den 1980er Jahren den Begriff der Reproduktion beiseitegeschoben. Das war zunächst einmal positiv, weil er eigenständig ist. Im englischsprachigen Umfeld ist Care alternativlos.
Schwerpunkt Care zum FrauentagErziehen, Zuhören, Pflegen – die einen nennen es Liebe, die anderen unbezahlte Arbeit. Nach wie vor sind es vor allem Frauen, die sie übernehmen, selbst da, wo sie bezahlt wird. In unserem Schwerpunkt „Frauentag“ fragen wir pünktlich zum feministischen Kampftag: Wie kann eine Gesellschaft aussehen, die das Kümmern revolutioniert?
Es stimmt, die patriarchale Grundstruktur ist nie aufgeknackt worden. Wie würde man da denn rauskommen? Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen in der Hoffnung, dass dann alle Menschen ihr Verhältnis zwischen Erwerbsarbeit und Lebenssorge besser austarieren können? Selbstsorge ist eine Systemerfordernis und dafür wird geworben. Bei mir um die Ecke heißt ein Fahrradladen Ego Movement. Und es gibt so viele Zeitschriften, besonders die an weibliche Kundschaft gerichteten, die mit dem Ich werben: Tu dir was Gutes, kauf dir dies und kauf dir das. Solange Sie kaufen können, sind Sie auf diesem Egotrip geradezu umstellt von Angeboten. Was übrigens für einen versagenden Kapitalismus spricht.
Im Herbst erscheint Ihr Buch „Die andere Seite der Liebe“ zum Thema Lebenssorge. Was ist die andere Seite?